„Nicht vorhandene Ausweichstrecken für LKW-Verkehr“ – stimmt das ?

Zahlreiche Bürgerinitiativen haben in der Vergangenheit immer wieder beklagt, dass überregionaler und internationaler Schwerlastverkehr durch die Wohngebiete in Rosenthal, Wilhelmsruh und Niederschönhausen fährt. Diese Verkehre setzen sich nach unserer Beobachtung zum kleineren Teil (ca. 30%) aus Fahrten der Entsorgungsunternehmen aus dem Industriegebiet Flottenstraße zu Zielen weit über das Berliner Stadtgebiet hinaus (z.B. Zementwerk Rüdersorf) und zum anderen Teil (ca. 70%) aus gemischtem überregionalem und internationalem Schwerlastverkehr zusammen, der aus dem gesamten Westteil der Stadt gemäß Navigationsgerät auf dem kürztesten Weg durch unsere Wohngebiete zum Autobahnanschluss A114 / Schönderlinder Straße fährt.

Politik und Verwaltung lehnen eine Führung des LKW-Verkehrs auf anderen Routen regelmäßig mit der Begründung ab, dass es „…keine vorhandenen Ausweichstrecken gebe“, zu z.B. Frau Stadträtin Anders-Granitzki (CDU) im Tagesspiegel vom 26.01.2023.

Diese Aussage ist leider nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung richtig. Zum Hintergrund muss man zuerst wissen, dass es in Berlin zwei Systeme der Straßenklassifikation gibt.

Zum einen das Berliner Straßengesetz, das Hauptverkehrsstraßen in die Kategorie I und II einteilt (§ 20 BerlStrG). Die Straßen I. Ordnung sollen dem Fern- und Regionalverkehr, diejenigen der II. Ordnung dem überbezirklichen Verkehr dienen.

Zum anderen die Klassifizierung der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verkehr und Klimaschutz (SenUMVK), die Straßen in die Funktionsstufen I-IV einteilt. Bis auf die Friedrich-Engels-Straße (Kategorie II) sind alle weiteren Hauptstraßen in unseren Wohngebieten als Kategorie III und IV klassifziert. Die genauen Beschreibungen der Verkehrsfunktionen dieser Straßen können Sie den Erläuterungen hierzu der SenUMVK (PDF) entnehmen.

Fest steht jedoch: keine der Straßen in unseren Wohngebieten ist für diese überregionalen / internationalen LKW-Verkehre vorgesehen bzw. klassfiziert (weder Kategorie I oder Funktionsstufe I). Das auch aus gutem Grund, denn das Umfeld dieser Straßen im Sinne von reinen Wohngebieten ist nicht nur straßenbaulich völlig ungeeignet, sondern die Nutzung als Wohngebiet steht zentralen LKW-Routen prinzipiell schon entgegen.

Abseits von den gesetzlichen und planerischen Regelungen reicht bereits ein Blick auf den Stadtplan um zu erkennen, dass es tatsächlich geeignete Straßen für die alternative Führung dieser LKW-Verkehre gibt. Hier sehen wir insbesondere Straßen als geeignet an, die zum einen eine entsprechende Klassifizierung haben (Kat. I bzw. Funktionsstufe I), zum anderen aber auch in den meisten Fällen 4-spurig ausgebaut sind und ohnehin Verkehrsstärken im Bereich von mehreren 10.000 Fzg/Tag haben. Diese führen nicht durch offen und kleinteilig bebaute Wohngebiete und eine Mehrbelastung durch alternativ fahrenden LKW-Verkehr würde dort angesichts der Gesamtbelastungen der Straße kaum ins Gewicht fallen.

Oft wird kritisiert, dass es den Bürgerinitiativen im Norden von Pankow nur darum ginge, Verkehr „nur nicht vor der eigenen Haustüre“ fahren zu lassen. Dem steht allerdings entgegen, dass sich eine beispielsweise kopfsteingepflasterte enge Dorfstraße nicht mit einer vierspurigen Hauptverkehrsstraße mit völlig anderem Ausbaugrad, Zustand und Umfeld vergleichen lässt.

Den o.g. Prinzipien folgend haben wir daher auf unserer Übersichtskarte die tatsächlich zur Verfügung stehenden Routen dargestellt, die in jedem Fall klare und akzeptable Alternativen ohne Konflikte mit Wohngebieten aufzeigen, und auch gemäß ihrer Klassfizierung regelkonform benutzt werden können.

Wenn Politik und Verwaltung behaupten, dass es keine Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stünden, stellt das damit aus unserer Sicht eine bequeme Ausrede dar, die auch offensichtlich in Unkenntnis der entsprechenden Regelwerke zu diesem Thema erfolgt.

Oft wird diskutiert, dass sich ja dann die Fahrtrouten (geringfügig) verlängern würden. Gemäß unserer Karte mag das für einen kleinen Teil der LKW-Vekehre aus Reinickendorf / Flottenstraße zutreffen, allerdings nicht für den größeren Teil der Verkehre von / aus dem Westteil der Stadt, der unsere Wohngebiete dem Navigationsgerät folgend dann weiträumig umfahren würde.

Letztlich ist uns kein Recht des motorisierten Wirtschaftsverkehrs bekannt, grundsätzlich und immer auf dem kürzesten Weg zum Ziel kommen zu können. Andererseits sind bei der Führung von LKW-Verkehren sind immerhin relevante Grundrechte für die dort lebenden Menschen berührt:

  • Recht auf körperliche Unversehrtheit (Lärm/Schlafstörungen/Erschütterungen und vor allem auch Verkehrssicherheit).
  • Recht auf Teilnahme am Straßenverkehr (ibs. schwächere Verkehrsteilnehmer wie Kinder oder ältere Menschen können hierdurch ibs. als Fußgänger oder Rad Fahrende nicht mehr auf diesen Straßen in ihren eigenen Wohngebieten fahren), z.B. UN Kinderrechtskonvention.
  • Recht auf Befriedigung von Wohnbedürfnissen (BVerfG) – hierzu gehört explizit auch das Schlafen mit geöffnetem Fenster, was angesichts der massiven LKW-Verkehre in unseren Wohngebieten oft unmöglich ist

Politiker/-innen und Mitarbeiter/-innen der Verwaltung gehen in ihrer Argumentations- und Handlungsweise daher faktisch davon aus, dass alle o.g. (Grund-)Rechte nur unter dem Vorbehalt gewährt werden können, wenn Schwerlastverkehr auf dem kürzestmöglichen Weg sein Ziel erreichen kann. Außerdem missachten sie bestehende Regelwerke und gesetzliche Vorgaben. Dies halten wir für verantwortungslos und irreführend.

6 Gedanken zu „„Nicht vorhandene Ausweichstrecken für LKW-Verkehr“ – stimmt das ?“

  1. Der Verkehr soll erst einmal in die Innenstadt geleitet werden? Was ist das denn für ein Blödsinn.
    Niemand wird sich daran halten.

  2. Die Kastanienallee sollte unbedingt saniert werden. Der Zustand der Straße und der Geh/Radwege ist so verkommen, dass man sich schämen muss, hier zu leben. Ich kann nicht verstehen, dass jemand diesen Zustand ertragen kann. Der neue Teil der Kastanienallee ist absolut sehenswert und gepflegt. Die Kastanien im alten Teil sind alle krank. Sie müssen ersetzt werden.

    1. Niemand, der uns bekannt ist, spricht sich gegen eine Sanierung der Kastanienallee aus. Das Problem ist, dass das Bezirksamt bislang keine belastbare, technisch, rechtlich und Stadtverträglich akzeptable Planung vorgelegt hat. Darauf hat der Senat jetzt hingewiesen.
      Insbesondere für den engen Teil der Kastanienallee liegt kein tragfähiges Konzept vor. Insofern ist es schwierig, den ersten Bauabschnitt zwischen Friedrich Engels Straße und Eschenallee zu planen, wenn man keine Vorstellung davon hat, wie der weitere Verlauf eigentlich aussehen soll. Sonst kann es sein, dass in einer breiten Straße ein Flaschenhals entsteht und Radwege im Nichts enden. Wir tun alles, um den Planungsprozess so zu unterstützen, dass er schnellstmöglich zu einem erfolgreichen Ergebnis geführt wird.

      1. Selbst auf der Grabbeallee enden Radwege im Nichts. Die flotten Radler wissen sich schon zu helfen. Die Waldstraße wird ohne Radwege doch auch stark genutzt. Mir sind ordentliche Fußwege für ältere Menschen wichtiger.

        1. Wir sitzen uns in jedem Fall für gute und breite Fußwege ein. Ihre Meinung zum Radverkehr teilen wir allerdings nicht. Auch der Radverkehr braucht sichere und gute Wege. Diese dürfen natürlich nicht zulasten von Gehwegen gehen.

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